(geschrieben im März/April)
Ich könnte auf meinem Blog ganz viele Berichte darüber schreiben, wie toll es hier ist, wie hilfsbereit und nett die Menschen sind, wie glücklich die Menschen hier zu sein scheinen, wie spannend und ereignisreich meine Zeit hier ist und wie wohl ich mich hier fühle, und alles entspräche der Wahrheit, nichts wäre gelogen oder übertrieben. Allerdings habe ich mich dafür entschieden mit meinem Blog zu versuchen ein möglichst realistisches Bild über das was ich hier erlebe und wie es mir hier ergeht zu vermitteln. Dies bedeutet für mich die gesamte Wahrheit zu berichten. Erlebnisse und Berichte über negative und frustrierende Ereignisse gehören zu einem solchen, realistischen Bild dazu.
Mein Aufenthalt in Kyela hat sein Bergfest schon erlebt nur noch ein Drittel der Zeit habe ich vor mir, die Integrationsphase scheint mir nicht mehr an erster Stelle zu stehen, Hierarchien und Strukturen sind mir inzwischen ganz gut vertraut. Neben meinem gemeinsamen Projekt mit meiner Einsatzstellenpartnerin Anna und der bei Tujijenge aufkommenden Arbeit, sehe ich Kapazitäten mich mit noch einem anderen Projekt zu beschäftigen.
Nach meinem knapp einwöchigen Aufenthalt in dem Waisenhaus Ilula Orphan Program (IOP) [siehe hierzu drei-teiligen vor wenigen Wochen auf diesem Blog veröffentlichten Artikel] sowie der Wunsch mehr Zeit in die Durchführung verschiedener Projekte zu investieren, haben mich dazu veranlasst ein weiteres Projekt zu entwickeln.
Das bislang nicht an das Stromnetz gebundene Waisenhaus versorgt sich derzeit für wenige Stunden pro Tag mittels eines Dieselbetriebenen Generators mit dem nötigsten an Strom. Der tagsüber für Büroarbeit anfallende Strombedarf wird über bereits auf dem Dach angebrachte Solar-Panels minimal versorgt.
In einem Gespräch mit der Leiterin und Gründerin des IOP, Berit Skaare, hat sie mir mitgeteilt, dass es ihr Wunsch ist, den gesamten Strombedarf des IOP langfristig über erneuerbare Energien zu generieren. Der Generator ist nur eine Übergangslösung, nicht nachhaltig und dementsprechend nicht dem allgemeinen Credo der Arbeit des IOP zu unterlegen.
Zusätzlich wurde mir von dem Besuch eines Deutschen beim IOP berichtet. In einem Gespräch über das Freiwilligenprogramm weltwärts hat sich jener Deutsche, der selber in die Arbeit mit einem Waisenhaus involviert ist, gegenüber der Leiterin des IOP angeblich recht negativ geäußert, das Programm sei Geldverschwendung, nicht nachhaltig, es würde keinen Nutzen mit sich ziehen. Berit Skaare zeigte sich nicht im Ansatz überzeugt von der Argumentation des Mannes, im Gegenteil, sie sagte sie müsse mehr über das Programm herausfinden, vielleicht ließe sich ja einer dieser weltwärts-Freiwilligen in dem IOP unterbringen.
Diese beiden Dinge sowie meine allgemeine Überzeugung von den Tätigkeiten des Waisenhauses und dessen Projekte, haben mich dazu bewegt ein ziemlich weitreichendes aber verhältnismäßig einfach umzusetzendes Projekt zu Gunsten des IOP zu entwickeln.
Der Bau eines Windrades auf dem Gelände des IOP sollte einen weiteren Schritt tun, um den Wunsch nachhaltiger Stromversorgung langfristig erfüllen zu können. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter/in des IOP sollte die gesamte Kommunikation bzgl. des Windradbaus erfolgen. Des Weiteren wäre jener Mitarbeiter/in in den Genuss mindestens eines Trainings gekommen, mittels welchem fundiertes Wissen über erneuerbare Energien vermittelt werden sollte. Diese beiden leicht zu verfolgenden Maßnahmen sollten zusätzlich dafür sorgen, dass das IOP eine zukünftige Einsatzstelle für die DTP werden sollte.
Der oder die dort eingesetzte Freiwillige hätte gemeinsam mit dem Mitarbeiter das neue „Renewable Energies“-Projekt weiter verfolgt, die über erneuerbare Energien generierte Stromversorgung des IOP weiter ausgebaut. Durch die starke Nähe, die das IOP zu der Bevölkerung der Region Ilula hat, genießt das Waisenheim und somit seine Projekte einen immensen Einfluss. Regelmäßig fährt ein Team des IOP in verschiedene Dörfer der Region, erkundigt sich bei den Familien, die Waisenkinder aufgenommen
haben, nach der Lage und verteilt manchmal gewisse unterstützende Güter wie etwas Salz, Kerosin, Zucker o.ä.. Im Zuge dieser Dorf-/Familienbesuche finden regelmäßig Trainings statt, bislang u.a. zu Themen wie Hygiene oder HIV/AIDS-Aufklärung und entsprechende Präventionsmaßnahmen. Das neue „Renewable Energies“-Team könnte zwei weitere Trainings mit ins Programm bringen: erneuerbare Energien und Umweltbewusstsein. Beides Themen, die in Tansania ein sehr großes Verbreitungspotential genießen, da sie bislang von der Bevölkerung kaum beachtet werden. Eine Kooperation mit der NGO Neema Craft Workshop in Iringa (eine Stunde von Ilula entfernt) hätte dafür sorgen können, dass die dort von Tansaniern produzierten Ein-/Zwei-Watt Solar Panels (z.B. für das Aufladen eines Handys vollkommen ausreichend) in den Dörfern Ilulas im Rahmen der Trainings vertrieben werden können. Einfache, günstige Solartechnologie, die den meisten Menschen in Ilula bislang nicht zur Verfügung steht, wäre ihnen neben dem Wissen darüber zugänglich gemacht worden.
Die in den Dörfern gehaltenen Trainings könnten durch leichte Änderung auch als regelmäßige Unterrichtseinheit mit den im Waisenhaus lebenden Kindern und den verschiedenen Schulen der Region, zu welchen das IOP sehr engen Kontakt hält, durchgeführt werden.
Mit diesem Projekt wären viele verschiedene Ziele verfolgt worden, u.a.:
– Die Prinzipien der DTP erfüllt und verfolgt: gemeinsames Arbeiten von Tansaniern und DTP-Freiwilligen, Bildungsarbeit im Bereich und die Verbreitung erneuerbarer Energien
– Die Prinzipien des IOP wären erfüllt und verfolgt: nachhaltige Bildungsarbeit zur langfristigen Bekämpfung von Armut und Krankheiten (insbesondere HIV/AIDS)
– eine interessante, spannende und abwechslungsreiche Einsatzstelle für einen ambitionierten weltwärts-DTP-Freiwillige/n wäre entstanden
– eine bislang nicht von Solarenergie erschlossene Region wäre nun erschlossen, TASEA hätte in eine weitere Region einen Fühler für zukünftige Arbeit gestreckt
– Das IOP würde sowohl in der Arbeit der verschiedenen Projekte unterstützt und hätte zusätzlich die Möglichkeit mit einem weiteren, neuen Projekt die Aufmerksamkeit zu steigern
– DTP, TASEA und IOP würden alle durch eine neue Partnerschaft/Vereinbarung gegenseitig profitieren
– auch die in der Region lebenden Menschen sowie die in dem Waisenheim lebenden Kinder würden von der einjährigen Präsenz des Freiwilligen nicht zuletzt durch kulturellen Austausch profitieren.
Das Windrad an der Spitze, als Aushängeschild für das neue Schneeball-Projekt am IOP.
Alles gescheitert, abgelehnt. Ein Vorhaben, das vorerst höchstens auf dem Papier gut aussehen kann. Es wird mir verweigert dieses Projekt in die Realität umzusetzen.
Mir teilweise vollkommen unverständliche und teilweise schlicht falsche Gründe werden angeführt, weshalb die hier in Tansania für mich zuständige Organisation TASEA das Projekt nicht unterstützt und es mir entsprechend verweigert daran zu arbeiten.
Es bestünde keinerlei vertragliche Vereinbarung zwischen dem IOP, der DTP und TASEA – ein Memorandum of Understanding würde fehlen und das bestehende zwischen DTP und TASEA sieht es angeblich nicht vor solche Projekte fern der ausgewählten Einsatzstellen zu unterstützen/durchzuführen. Es sei nicht vorgesehen dem IOP die Arbeit bzgl. erneuerbarer Energien abzunehmen, man solle sich dort erst einmal selber mit dem Thema beschäftigen und ernsthaftes Interesse zeigen, woran man dann mittels solch einen Projektes anknüpfen könnte. TASEA „does not go and plant ideas“.
Kyela, wo die für mich verantwortlichen Menschen seien, wäre zu weit weg, um mir zu helfen, sollte mir etwas passieren.
Außerdem mangele es mir angeblich an Zeit mich mit diesem Projekt zu beschäftigen.
Schlussendlich würde man keinen Profit für meine Einsatzstelle Tujijenge Microfinance sehen.
In einer langen Diskussion mit dem Geschäftsführer von TASEA, dem einzigen vehementen Verfechter dieses Projektes, gelang es mir jedes der von ihm genannten Argumente zu widerlegen bzw. zu entkräften – dennoch ohne Erfolg, er war nicht umzustimmen. Nachdem er ein weitreichendes Entscheidungsverfahren eingeleitet hat, fiel das letzte Wort in die Hand meines Chefs, hier in Kyela. Seine recht trockene Antwort, ich hätte nicht die Zeit mich um dieses Projekt zu kümmern, außerdem sehe er keinen Vorteil
für Tujijenge. Er schlug vor, dass man mich von Seiten der DTP doch um 3-4 Monate länger in Tansania lassen solle, damit ich dieses Projekt durchführen könnte.
Gescheitert an der Hierarchie.
In Tansania ist es nicht üblich jemandem direkt die Meinung zu sagen. Wird etwas abgelehnt, so wird immer (so zumindest meine bisherige Erfahrung) ein anderer Grund als der tatsächliche vorgeschoben.
(Ein Bespiel: Unmittelbar neben unserem Wohnhaus wird ein kleines 2 Zimmer-Häuschen gebaut, welches zukünftig ein Kindergarten werden soll. Als von dem Haus nur das Gemäuer und noch kein Dach vorhanden war, sind Anna und ich häufiger dort hinein gegangen, um die Sterne zu betrachten und uns zu unterhalten. Nach einiger Zeit bat uns Mzee Jimmy, unser Hausherr, nicht mehr in den Kindergarten zu gehen. Als wir fragten weswegen, sagte er es gäbe in Tansania eine bestimmte Art von Pflanze, die
eine ätzende Wirkung hätte und zu schlimmen Verletzungen an der Haut führen würde. Er hätte Angst, wir könnten damit in Kontakt kommen. Dank der vor unserem Haus lebenden Kuh ist die Grasfläche dermaßen niedergefressen, dass man sich schon fast darin wälzen müsste, wenn man mit dieser (sicherlich nicht um unser Haus herum befindlichen) Pflanze in Kontakt kommen möchte. Der wahre Grund wird uns für immer verschlossen bleiben)
Auch in diesem Fall vermute ich einen versteckten wirklichen Grund, der zu der Ablehnung des Projektes geführt hat. In Fällen, die für mich keine solche Wichtigkeit besitzen ist es für mich nicht das geringste Problem den Wunsch zu respektieren und mich dementsprechend zu verhalten, auch wenn die aufgeführten Gründe weder wahr noch nachvollziehbar ja fast lächerlich sind. In einem Fall wie diesem Projekt aber, reicht mir ein nicht nachvollziehbarer Grund nicht. Es ist mir zu wichtig, als dass ich falsche schier lächerliche Gründe akzeptieren kann und das Projekt einfach abhake.
Aus der Sicht meines Chefs kann ich die wahren Gründe einigermaßen klar sehen: Auch er scheint in seiner Handlung von der Kultur bestimmt; Matthews Ablehnung bedeutet für ihn, dass er sich dazu gezwungen fühlt auch ablehnen zu müssen, ganz gleich wie er entscheiden würde wenn er an der obersten Stelle stehen würde. Die wahren Gründe von Matthew wollen sich mir aber leider nicht eröffnen.
Leider sind mir aus kulturellen Gründen die Hände gebunden. Mein Chef hat meinen Einsatz in diesem Projekt abgelehnt, die Autorität zu untergraben kann ich nicht mit mir vereinbaren.
Jedoch hätte ich erwartet, dass ein Mann wie Matthew, der einige Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, der stets eng mit deutschen zusammenarbeitet und
mindestens ein Seminar zur Steigerung kulturellen Verständnisses belegt hat, in einer so wichtigen Entscheidung die wahren Gründe anbringen kann.
Ein schönes, vielversprechendes und zukunftsweisendes Projekt scheitert – leider nicht an der Umsetzung oder an Missverständnissen oder an mangelnder Kommunikation, sondern lediglich an einem mangelnden Memorandum of Understanding und dem extremen Festklammern an Hierarchien. Wobei ich gestehen muss, dass ich befürchte, dass selbst ein bestehendes Memorandum of Understanding, welches ja problemlos noch ins Leben hätte gerufen werden können,
nicht dafür gesorgt hätte mein Projekt zu genehmigen…
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Ich kann für meinen Teil sagen jeden möglichen Weg abgegangen zu sein, wenn nötig auch mehrfach. Der Wille war eindeutig da, ich kann mir nicht vorwerfen mich nicht für dieses Projekt eingesetzt zu haben. Der Wille auf der mir gegenüberliegenden Seite scheint leider nicht da gewesen zu sein, mir ist es nicht gelungen den Schlüssel zu finden, um am Ende des richtigen Weges die Tür für dieses Projekt öffnen zu können.
Ein Jahr in Tansania. Ein Jahr als Freiwillige leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ein Jahr lang lernen was dieses Land ausmacht. Ein Jahr lang damit beschäftigt sein zu ergründen, ob das was aus meinen Augen ein Problem ist auch hier als solches angesehen wird. Ein Jahr lernen was es bedeutet in einem Entwicklungsland zu leben und zu arbeiten. Ein Jahr lang auf dem Drahtseil zwischen Freude und Frustration.